[Auszug]
...Eine besondere Gruppe bilden die Fensterbilder - hier links und rechts in den Seitennischen; die menschliche Gestalt als Bildnis,
Halbfigur, Kopf im von außen gesehenen Fenster ist ja ein sehr altes Bildmotiv, das auch zum festen Repertoire des Romans und der Novelle
gehört. In der Dichtung wie in der Malerei ist das Fenster häufig Sinnbild für jene transparente und zugleich translucide, durchsichtige
und zugleich spiegelnde Scheidewand zwischen irdischer Existenz und Transzendenz: das Fenster der Erkenntnis, durch das wir ausschnitthaft
Erfahrungen erhalten. Eine tatsächliche zwischenmenschliche Begegnung findet eigentlich gar nicht statt, und dennoch sind auch solche
Momente Anstoß für Gedanken, Fragen, Assoziationen, "was wäre wenn.."
Manchmal genügt ein einzelner Blick, um solche Empfindungen auszulösen. Als Voyeure werden wir Teil privater Lebenssphäre,
Zeugen von Gewaltszenen aber auch delikater, intimer Paarbeziehungen, häuslicher Idylle, kurzum dem gesamten Drama menschlicher Existenz.
Das Fenster als architektonisches Element, sein Gitterwerk, Jalousien oder ähnliches werden dabei zu Requisiten von spannenden
Bildkompositionen. Als Binnenrahmen für die Figuren verdoppeln sie den schon vom äußeren Holzrahmen her wirkenden Eindruck,
dass jedes Bild eigentlich ein Fenster ist, durch welches wir ein Stück Wirklichkeit erspähen...
Dr. Barbara Kahle
[Auszug]
... Ja, es scheint auch die Zeit angehalten. Selbst wenn - wie in der Serie "Hinter Fenstern" - Lebensszenen gestaltet werden,
so sind es doch keine flüchtigen Momentaufnahmen. Sie wirken eher wie kondensiert, sorgsam gestaltet und verdichtet.
Walli Bauer schafft ihren Figuren eine innere Bühne, einen Rahmen von Konzentration und Stille. Stille sei ihr das Wichtigste,
sagt sie, sie sei die Bedingung dafür, dass der Betrachter in das Bild hineingezogen werde. Tatsächlich betritt man einen anderen Raum,
wenn man sich auf die Gesichter, die Körper und ihre Geschichten einstellt. Ich nenne ihn einen blauen Raum, in dem die Zeiten,
in dem Gegenwart und Vergangenheit ineinanderfließen. Die Gesichter auf den großen Bildern tragen Spuren sich überlagernder Zeiten,
Schatten, verblassende Umrisslinien, Zeichen der Verwandlung. Walli Bauer ist überzeugt: Wir sind die Summe unserer Begegnungen,
und unser Leben und Erleben hat sich in uns eingeschrieben, ist immer gegenwärtig. Ihre Gesichter und Figuren sind bei aller Überlagerung
von Geschichten durchlässig - und was bleibt ist der Wesenskern - "was uns bewegt".
Die Figuren ihrer großen Bilder entstünden "aus der Leinwand heraus", sagt Walli Bauer, "die begrüße ich". Es sei wichtig, bei dieser Arbeit
"den Kopf rauszuhalten" und der künstlerischen Intuition zu vertrauen.
Es mag sein, dass gerade diese Intuition und das "Kopf-Raushalten" den Gesichtern auf den großen Bildern ihre besondere luzide Aura verleiht.
Ganz unbewusst ist der Schaffensprozess aber nicht. Walli Bauers Intuition kann sich auf die virtuose Beherrschung der künstlerischen
Mittel verlassen.
An den Radierungen zeigt sich das auf besondere Weise. Der künstlerische Prozess bei einer Radierung muss geplant sein, die Umsetzung
erfordert handwerkliches Können, das erlernt werden muss. Kann sich bei einem Gemälde die Intuition unmittelbar in Farbe und Linie ausdrücken,
so ist sie bei einer Radierung nur der Beginn des Schaffens.
Die große Kunst ist, die Intuition sozusagen heil durch den handwerklichen Prozess zu bringen, so dass am Ende beides sichtbar wird:
Intuition und Gestaltung. Für mich ist dies in einigen Radierungen der Serie "Hinter Fenstern" ganz besonders gelungen. Sie sind auf der
Gestaltungsebene eher kühl und trotzdem hoch emotional. Die Aquatinta-Technik und das Schwarz-Grau-Weiß betonen die Fläche - es ist die
Emotion, die einen in den Raum hineinholt. Für mich sind es Meisterwerke! Ihre Spannung erinnert mich an die Bilder von Edward Hopper.
Unter der Coolness der Oberfläche schlägt ein menschliches Herz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Sprechen über Kunstwerke hat immer seine Grenzen. Die Wirkung von Kunst ist nicht vollständig,
nicht adäquat in Sprache zu fassen, sie unterminiert die Sprache. Es sei mir ein letztes Zitat von Pina Bausch gegönnt.
Sie hatte immer große Schwierigkeiten, in Interviews über ihre Stücke zu sprechen, und sagte dann: "Wenn ich drüber reden könnte,
müsste ich ja nicht tanzen!"
Thomas Reher - Stadttheater Fürth
[Auszug]
Walli Bauer hat sich in die Bamberger Bierkeller begeben und hat sich dort die Gäste näher angeschaut, hat sie heimlich auf dem
Skizzenblock gezeichnet und später dann im Atelier bewusst auf eine Bilder-Bühne gesetzt. Sie hat heiter-komische Szenen erschaffen,
der Wirklichkeit entlehnt, aber dann auf sehr eigene Art gestaltet.
Da sitzen Freunde beisammen, sind fröhlich, sind ernst, genießen oder langweilen sich, sind einander zugetan oder warten auf den
richtigen Moment. Da sitzen drei Burschen mit ihren Bierkrügen und verschränkten Armen auf einer Mauer und warten auf schöne Frauen
oder das Leben, da stieren sechs ältere Herren in den Ausschnitt einer Dame mit Perlenkette, da ist das schweigend voreinander sitzende
ältere Ehepaar - und zwischen ihren Köpfen sieht man zwei frisch Verliebte am Nachbartisch. Walli Bauer versammelt Alltagsmenschen
im fränkischen Bierkeller-Biotop, eine Bilderschar von Lebens-Ausschnitten, Lebens-Mosaiksteinen, die erst in ihrer Gesamtheit eine
Ahnung geben von dem, was Leben ist. Leere und Fülle, Einsamkeit und Gemeinschaft, Anspannung und Gelassenheit. Diese Lebensdynamik
ist aufgehoben im Blick der Künstlerin. Es ist ein aufmerksamer, genauer, zugewandter, ja liebender Blick!
Aber, meine Damen und Herren, the artist is present. Walli Bauer ist eine genaue, liebende Betrachterin - und im Betrachten liegt sicher
eine gewisse Demut - in der Gestaltung liegt sie nicht! Und das macht die Bilder so spannend: Die Künstlerin ist als Gestalterin gleichsam
selbst mit im Bild! Sie verpasst dem verliebten jungen Mädchen leuchtend orangene Haare und hebt sie damit schlaglichtartig heraus aus dem
schwarz-weißen Kontext des schweigenden Paares im Vordergrund. Die Fokussierung durch stark akzentuierte Farbgebung ist ein erprobtes
Mittel von Walli Bauer - ebenso wie der Umgang mit Licht und Dunkel. Da wird Schatten zum erzählerischen Bedeutungsträger wie auf dem Bild
der weiblichen Tischgesellschaft, wo ein harter scherenschnittartiger Schlagschatten drei gaffender Männer auf die Damen fällt und die
heiter-leichte Biergartenidylle plötzlich eine voyeuristische Aufladung bekommt. Die Perspektive ist im Bild mit-thematisiert.
The artist is present. Die Künstlerin hat die Ruhe, einer Person gleichsam im Bierkeller gegenüberzusitzen, sie genau zu betrachten
und in ihrem Bild jede Falte genau zu zeichnen und dem Portrait eine Tiefe und Einzigartigkeit zu verleihen - sie kann aber auch im
hektischen Gewimmel die kurzen, momenthaften Eindrücke skizzenhaft umreißen und sie bildlich so übereinanderlegen, wie sie als
Sinneseindrücke kurz im Hirn aufflattern und wieder vergehen. Die Perspektive der Künstlerin, ihr bildnerischer Umgang mit der Welt ist
eben genau so vielfältig wie das dargestellte Leben.
Unbedingt zu erwähnen - und zu rühmen - ist Walli Bauers große Lust an der Fläche, an den vielfältigen Möglichkeiten der zweidimensionalen
Gestaltung. Sie akzentuiert und fokussiert das Bildgeschehen durch fast monochrome, an japanische Holzschnitte erinnernde Farbflächen,
durch Schattierungen und Linien. Die Bildfläche wird oftmals strukturiert vom Schatten der Bäume, von Biertischen und -bänken oder von
Zäunen. So schafft Walli Bauer ein formales, ästhetisch feines Bühnenbild für ihre dynamischen Szenen.
Es sind Szenen kleiner Alltags-Epiphanien, wie sie in einem fränkischen Bierkeller Ereignis werden. In ihrer liebevollen Betrachtung
und ihrem augenzwinkernden Arrangement formt Walli Bauer aus den alltäglichen Bierkeller-Szenen ein Panoptikum des Humors, ja, des
fränkischen Humors. Es ist ein Humor der genussvollen Diesseitigkeit. Augenblick, verweile doch, Du bist so schön!
Thomas Reher - Stadttheater Fürth